Ihre Kunst migriert: Collagen,
Zeichnungen, Objekte, Bilder, Bewegungsbilder durchqueren
Sprache. Eine Welt der Begriffe ebenso wie der Worte des
Alltags, vor allem aber eine Welt der Zeichen und der Schrift.
Isabella Kohlhubers Werk offenbart ein Sprachbewusstsein, das in
der Tradition der österreichischen Moderne verankert ist. Deren
mitunter extreme, oftmals kritisch und politisch gewendete
Sprachsensibilität in Literatur, Kunst und Architektur, die
stilsicher balancierte zwischen theatralischem Wulst und
hartnäckiger Fehde mit dem Ornament, entwickelte sich in
Reaktion auf die „Habsburger Sprachfeindlichkeit (als Boden
potentieller politischer Gefahr)“. Die Künstlerin geht mit ihrem
Werk jedoch über die Tradition hinaus und fragt nach den
Grundlagen dessen, was uns regiert, die Körper und die Worte.
Sie wird dabei von einer doppelten Emanzipation geleitet, den
linearen Code der Sprache, ihren vielgestaltigen Reichtum, ihre
präzise Fassung und die ihr innewohnende Mehrdeutigkeit,
bildlich zu begreifen sowie, vorsichtig gesagt, dem Wunsch nach
einer gewissen Unabhängigkeit, um nicht so sehr – von Schrift
und Sprache – regiert zu werden. Diese Form kultureller
Migration ist weder Flucht noch weltfremd. Sie kommt aus der
Sprache, fragt nach deren Wirklichkeit und lebt in der Kunst.
Ein Satz
Zum Beispiel: Ein logischer Satz mit innerem Klang an
ungewöhnlicher Stelle im öffentlichen Raum platziert. Der
Entwurf für eine künstlerische Intervention im Stadtraum,
Expectation/Implementation, Fig. O (Entwurf 2016), schlägt für
die nüchterne Alltagssituation einer Tram-Haltestelle und all
ihren plastischen Details eine Bodenzeichnung mit
verkehrsgerechter Markierungsfarbe vor. Eine Fotomontage
umschreibt knapp die Situation der halboffenen Architektur mit
ihren Verkehrswegen und zeigt eine durchbrochene ovale Linie von
gleichem Umfang wie der Grundriss des kleinen Gebäudes, der
jedoch um eine Winzigkeit verschoben und leicht nach rechts aus
der Achse gedreht ist. Die offene Ellipse umschließt einen
durchgängig gezogenen kleineren Kreis, drei Chiffren
unterscheiden drei Bodenbereiche. Die drei Zeichen sind im
Bastards-Font der Künstlerin gestaltet und fungieren als
Variablen für Begriffe, die in einer zugehörigen Legende erklärt
werden.
Das Zeichen in kreisrunder Sperrlinie um die tragende
Säule herum (eine Verbotslinie nach StVO) steht für
Abgeschlossenheit (Unmöglichkeit), dasjenige innerhalb der
unterbrochenen Leitlinie im Wartebereich (eine
Übertretungserlaubnis in beide Richtungen nach StVO) heißt
Erwartung, und die offene Umgebung des städtischen Raums
außerhalb der Leitlinie wird Erfüllung genannt. Die
Bodenzeichnung bietet eine begehbare Struktur in der Manier
einer Notation für einen Aussagesatz an. Sie markiert einen
physischen Raum und eröffnet einerseits anhand der Linien, die
Fläche und Raum ein wenig auseinander schieben, einen Raum der
Vorstellung. Wie ein Sprachspiel wird die Chiffre der
Unmöglichkeit an einer unbetretbaren Stelle, die tragenden
Säule, ins Spiel gebracht. Zugleich korrespondiert die Erwartung
im Oval des Wartebereichs wechselseitig mit der Erfüllung im
städtischen Raum, denn eine Leitlinie darf in beide Richtungen
übertreten werden. Die räumliche Verschiebung durch die
Bodenzeichnung öffnet so andererseits einen konkreten
Handlungsraum, der keine Bedeutung vorgibt, sondern
Veränderbarkeit als möglich veranschaulicht. Sie trifft damit
keine Aussage über etwas, sondern zeigt wie Aussagen
funktionieren. Ein Gedankengebäude wird mittels einer einfachen
Satz-Struktur in der Wirklichkeit überprüft. Dieser bildnerische
Akt stellt aber keine Regeln auf. Es ist an den Wahrnehmenden
und Wartenden, im Bewusstsein der eigenen Position innerhalb des
neu gewonnenen Eindrucks anders zu handeln.
Der Entwurf für
einen temporären quasi-logischen Satz im öffentlichen Raum ist
bislang unausgeführt.
Auslegung
Wie lassen sich Regeln anwenden
und zugleich individualisieren? Die Buchstaben des Gesetzes
erscheinen autoritär und sind oft genug schwer verständlich.
Insbesondere in der Rechtsprechung, deren performativer
Sprechakt bindend ist, entsteht die Bedeutung eines Textes durch
seine Auslegung, ähnlich erkennt ein Philosoph die Bedeutung
eines Wortes im alltäglichen Gebrauch der Sprache und in der
Kunst entscheidet der Kontext mit über die Bedeutung eines
Textes (als Kunstwerk zum Beispiel). Mit anderen Worten,
Bedeutung wird verhandelt. In Form einer Schriftrolle liegt Aus
dem Gesetz (2016) flach auf dem Boden aus, aufgewickelt auf
einen Stab. Selbstredend ist die Mutter aller Gesetzestexte die
heilige Schriftrolle mit den fünf Büchern Mose; insbesondere die
jüdische Tradition ist der unablässigen Auslegung der Tora
verpflichtet. Die hier verwendete Textrolle ist aus
Dampfbremsfolie gefertigt wie sie im Baugewerbe zur Isolierung
eingesetzt wird. Der Text selbst gibt einen Paragraphen aus dem
österreichischen Urheberrechtsgesetz wieder (§ 76, Abschnitt 2
über die Schutzrechte an Schallträgern) und ist im Internet frei
verfügbar. Die Buchstaben wurden in die Bastards-Schrift
übertragen und aller umgebende Folienstoff mit einem Laser auf
insgesamt ca. 10 Metern Länge so weit entfernt, dass nur der
unterschnittene Font in engen Zeilen stehenblieb. Der Text
erscheint wie ein verdichtetes Geflecht, abstrakt wie eine
Textur. Etwa sechs Meter blankes Material verbleibt auf den Stab
gewickelt. Die Folie wird für Ausstellungszwecke nach Gutdünken
partiell entrollt, ihr sichtbarer Teil verweist auf das
aufgewickelte Ganze und wird zu einem Bild der Sprache in der
Sprache.
Der ursprüngliche Gesetzestext aus dem Jahr 1936 wurde
mehrfach novelliert. Er schützt geistiges Eigentum, das als
historisch gewachsener Begriff aus dem 18. Jahrhundert im Werk
die Materialisierung der schöpferischen Individualität eines
Autoren oder einer Autorin voraussetzt. Eigentum und
Werkautonomie werden in der Urheberschaft verkoppelt, rechtlich
fundiert und prinzipiell beherrschbar gemacht. Heutige digitale
(Re-)Produktion und Distribution haben die Urheberschaft von
Originalen jedoch erodieren lassen. Das Bodenobjekt reproduziert
daher nicht einfach einen Gesetzesparagraphen als schmückendes
Ornamentbild, sondern problematisiert in Form eines bildhaften
Geflechts von Buchstabenzeichen die Bestimmung von Original und
Kopie auf Grundlage des überkommenen Gesetzestextes und bringt
die fragwürdig gewordene Annahme einer Autonomie des Werkes mit
heutiger Produktionstechnologie zum Vorschein. Die Schrift wahrt
eine Unverfügbarkeit durch die kaum lesbaren, eng verschobenen
und räumlich verdichteten Zeilen. Im selben Zuge legt der Inhalt
des Gesetzes aber auch die Wiederaneignung von Kunst als
geistiges Eigentum offen zutage. Ohne ein Wort darüber zu
verlieren, formuliert Aus dem Gesetz wie ein dialektisches Bild
durch bloße Konstellation eine Kritik der Aneignung
schöpferischer Produkte als geistiges Eigentum in Zeiten
fließend gewordener Originalität.
Familienbande
Die Übergänge
zwischen den Zeichen. mit anderen Worten, die formale Gestaltung
des Rauschens der Schrift an ihren Rändern und in
Zwischenräumen, sind an Isabella Kohlhubers Kunstfont Bastards
ebenso faszinierend wie die letternartigen Zeichen selbst
fasziniert zu sein scheinen von ihrer eigenen Körperlichkeit. So
erkunden im Video B+0066 – B+0090 (2016) Lineatur und Volumen
auf quasi autopoietische Weise die eigene Form und Lesbarkeit
ihrer Teile durch Schwünge, Punzen, Striche, Scheitel, Arme,
Beine, Bauch und Köpfe. Sie bilden Ligaturen und verschmelzen
mit Satzzeichen zu unkonventionellen Gebilden. Die neuen
Grapheme entstehen zunächst in Form einer Papiercollage und
werden anschließend digitalisiert. Auch für das Video entstehen
Collagen, die dann wie ein Trickfilm als Sequenzen von
Einzelbildern in Bewegung versetzt werden. Die Bastards sind
aufgebaut wie eine Familie, die sich erweitert und Elemente auch
verlieren oder abgeben kann. Ihre Schrift umfasst kein
vollständiges Alphabet und keine distinktiven
Interpunktionszeichen, sondern trägt ihre Bestandteile, die wie
Urelemente einer alphabetischen Ordnung wirken, frei zu mehrfach
codierten Typen zusammen bis an die Grenze ihrer
Entzifferbarkeit, vergleichbar einer expliziten Handschrift. Ob
als dicht gestauchtes Installationsobjekt oder als meterlanger,
mehrzeiliger Wandtext ob als animiertes Bild im Videotrickfilm
oder als vielschichtig präparierte Collage, der delikate
Schriftkörper der Bastards erfordert seine eigene Zeit
dechiffrierender Lektüre, weil sie ihrem Publikum ohne bekannte
Konvention gegenübertreten und wir uns auf ihre Bedeutung
lernend verständigen müssen.
Linien
Flächengebilde mit
horizontalen Linien schaffen ein ergänzendes Passstück zum
Schriftkörper der Bastards. Jede dieser Linienzeichnungen,
bezeichnet mit Ohne Titel (Linien), die in loser Folge seit 2012
in drei unterschiedlichen Formaten entstehen, soll wie eine
Rechenfunktion ausgeübt werden: Bewege die Spitze deines Stiftes
freihändig in geradem Zug von links nach rechts über das Papier
und folge mit der nächsten Linie darunter von links nach rechts
der oberen Linie in bestmöglicher Präzision. Die Zeichnungen
entwickeln aus ihrem Einsatzpunkt so etwas wie eine Nulllinie,
die sich in der Ausübung langsam und leise deformiert und im
Nachvollzug mit einer Art Wellenbewegung das gesamte Blatt
erfasst, denn natürlich gelingt der freien Hand keine
Schnurgerade. Die materiale Mitschrift der Berührung stellt eine
manuelle seismographische Äußerung dar. Der Abdruck macht die
Linie auf explizite Weise zum Bild. Ein Bild durch ein Tun, das
Punkt für Punkt, Moment für Moment im Wortsinne gezeichnet und
aufgezeichnet wird. Die Bildhandlung erzeugt dabei ein Dokument
von Abweichungen, einer Abweichung im Sinne eines frei gewählten
Nicht-Könnens. Erst im Unvermögen zeigt sich die Spur des
Wirklichen in der Zeit. Es treten bildnerische Umstände hervor
wie die Begrenzung der Länge jeder Linie durch die Reichweite
des Armes. Es zeichnen sich aber auch andeutungsweise
körperliche Zustände ab wie Balance, Konzentrationsfähigkeit,
Erschöpfung und Entspannung durch Wiederholung.
Der
Produktionsprozess dieser Linienzeichnungen formuliert einen
zeitgebundenen bildperformativen Akt. Jedes Blatt, jede
Zeilenlinie entsteht wie ein unabgesetztes Schreiben, das in
ihrem Verlauf vom Punkt zur Linie zur Fläche zur Wiederholung
einen Ausschnitt im Fluss der Zeit markiert. Ein
Bewegungszentrum – ähnlich dem Kirchturm von Combray, der in
sich ruhend und von überall sichtbar, eine ganze Stadt, einen
ganzen Landstrich mit seiner unnachahmlichen Ausstrahlung
erfasst. Die Linien könnten ebenso als entrollte Handschrift
oder als Entzeichnung von Buchstaben gelesen werden. Sie könnten
weiters das Absolute der Linie verkörpern wie der
gedanklich-experimentell ins Endlose verlängerte Gedankenstrich
bei Kandinsky. Sie könnten zur Interpretation seelischer
Stimmungen einladen oder als konzeptuelle Geste einer
Overall-Struktur angesprochen werden. Mit jeder ihrer Linien
aber, schlägt Isabella Kohlhuber eine Kerbe in das historische
Paradigma einer Bildautonomie, die sich über die Distanz
zwischen Bild und Körper definiert. Der bildperformative Zug der
Linie setzt sich körperlich dem Verfehlen der idealen Geraden
aus und beschreibt damit ausdrücklich seine Heteronomie, den
Einfluss des Wirklichen. Diese Linien sind Bild, sind Sprache
und sagen immer wieder und auf scheinbar paradoxe Weise, indem
sie tun, was sie verfehlen: Ich möchte nicht so sehr regiert
werden – von der Herrschaft der Autonomie (denn, so könnte man
erläuternd hinzufügen, sie trübt die Sprache des Alltags und der
Körper).
Pop-up
Ähnlich im Geiste, aber formal völlig anders
gelöst ist The Studio (2014). Auf den ersten Blick sieht alles
ganz solide aus, dann wirkt es vor dem prüfenden Blick doch
etwas klein geraten und nach und nach wird dieser Holzwagen in
ausgeklapptem Zustand zu einem überaus fragilen Element, das für
die beabsichtigte Tätigkeit, Kunst produzieren zu können, doch
arg beengend ist. Die Tischplatte liegt wacklig auf einem nicht
ausgespannten Holzbock, die beiden leichten Schwenkscharniere
versprechen keine große Haltbarkeit. Schraubzwingen halten
provisorisch eine hochgeklappte Lade, das Schubfach wird rasch
klemmen und unter Zuglast den Tisch womöglich ruinieren. Leisten
ohne Verbindungen, Bohrlöcher und lose Scharniere weisen auf
mehrfache Überarbeitungen am Objekt hin. Manche Teile und
Funktionselemente wurden noch nicht einmal verschraubt. Und
dennoch, zusammen geschoben und fixiert ist das Werk zugleich
seine eigene Verpackung und war als solches Ausstellungs- und
Herstellungsobjekt bereits auf weiter Reise. Dieses
„Pop-up“-Studio fungiert als Symbolbild künstlerischer
Arbeitsverhältnisse, die kaum zu überwinden sind und eine solch
weit gespannte Flexibilität und Kreativität erfordern, dass dem
gewählten Beruf mitunter gar nicht mehr nachgekommen werden
kann. Die materialen und materiellen Voraussetzungen des eigenen
Tuns als Künstlerin erscheinen im Studio überaus prekär.
...
Isabella Kohlhuber meidet die machtvollen Adern des
Kunstdiskurses, insbesondere die Revierkämpfe um Originalität
und Autonomie, und macht den Bedingungshorizont der Bilder und
der Sprache zu ihrem Thema. Ihre Arbeiten bleiben im
körperlichen Sinne konkret als räumliche, visuelle, haptische
und kinetische Werke, die Veränderbarkeit (be-)greifbar werden
lassen. Diese Kunst zeigt keine Utopie auf, sie ist keine
Dichtung, kein Bericht, keine Statistik, keine Erzählung, kein
Konzeptualismus. Der bildperformative Akt übersetzt stattdessen
die materiale Seite der Sprache, ihre Signifikanz, in eine
Bewegung des Bildes (durch graphische Animation) und in
Bewegungen im Bild (durch den Zug der Zeichnung), aber auch als
Resultat von Verschiebung und Verdichtung (in der Typographie
und mit Bodenmarkierungsfarbe). Ihre Werke leiten auf die
primäre Ebene des Verstehens über in ein Sprachbewusstsein von
Materialien, Formen, Klängen, Farben und Temperaturen, der
Handlung und des Unvermögens bevor die Bedeutung eines Artefakts
aufleuchtet. Wir verbinden Zeichenelemente zu Sinneinheiten,
lautlich mit Stimme und Atem und Mund und Ohr und schriftlich
mit Auge und Hand, um zu kommunizieren. Diese Momente des
zeitlichen Übergangs in Zeichen und Lauten und ihre
Zwischenräume sind das künstlerische Material. Offene
typographische Bildschriften und Zeichnungen (Schrift im Sinne
einer Graphie) und Bilder machen sich auf diese Weise ein wenig
unabhängiger von sukzessiver Rede und linearer Lektüre. Wenn wir
hinschauen, also schauen, um begreifen zu wollen, entpuppen sich
Isabella Kohlhubers Werke als vielschichtige Körper in Volumen,
Ausdehnung und Präsenz, durchdrungen von erstaunlicher und
feingliedriger Sinnlichkeit.
Literatur
Ausst.-Kat. Linien, Briefe, Notationen. Hrsg. v. Uwe Obier, Städtische Galerie
Lüdenscheid 1987.
Friedrich Achleitner: Wiener Architektur.
Zwischen typologischem Fatalismus und semantischem Schlamassel.
Wien Köln Weimar 1996.
John Austin: Zur Theorie der Sprechakte
(How to do things with Words), Stuttgart 2002.
Heinrich Bosse:
Autorschaft ist Werkherrschaft, München 2014.
Horst Bredekamp:
Theorie des Bildakts. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2007,
Berlin 2010.
Gilles Deleuze, Félix Guattari: Anti-Ödipus,
Frankfurt am Main, 1977.
Wassily Kandinsky: „Über die
Formfrage“, In: Ders., Essays über Kunst und Künstler, Bern
1955/19733.
Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen
Zeit. Bd. 1: Unterwegs zu Swann. Frankfurt am Main 2011/20152.
Georg Witte: „Die Phänomenalität der Linie“. In: Werner Busch,
Oliver Jehle, Carolin Meister (Hg.). Randgänge der Zeichnung,
München 2004, S. 29-54.
Ludwig Wittgenstein: Philosophische
Untersuchungen (1945). Frankfurt am Main 2003, S. 40.